Nach der Specialty Coffee Philosophie sollten Freunde vom handgefilterten Kaffee besonders präzise und konsistent arbeiten. Dafür nutzen moderne Brewer viele innovative Tools: Neben einer digitalen Küchenwaage und ausgefeilten Kaffeemühlen zum Beispiel Wasserkessel der besonderen Art. Bestimmt hast du die Kannen mit dem Schwanenhals schon mal in der Hand des ein oder anderen Barista gesehen und dich gefragt: Braucht man so etwas wirklich? In diesem Beitrag gehen wir der Frage auf den Grund und nehmen Wasserkessel genauer unter die Lupe.
Handfiltern früher und heute: Same same but different
Wer hat früher nicht mal seiner Omi dabei zugesehen, wie sie am Sonntagnachmittag zum Kuchen einen handgefilterten Kaffee für die Familie zubereitet hat? Aus dem obersten Fach der Küchenvitrine holte sie ihren Porzellanfilter, legte eine Filtertüte ein und befüllte sie mit ein paar Löffeln Kaffeepulver. Dann kam das kochende Wasser hinein, bis der Filter randvoll war. Et Voila – fertig war eine Kanne Kaffee für die gesamte Familie!
Fast nach demselben Prinzip wird Handfiltern heute noch betrieben. Was sich geändert hat sind zum einen die Begriffe: In hippen Coffeeshops wird heute zum Beispiel gern von “Pour Over Coffee” gesprochen, obwohl ein bekanntes Verfahren dahinter steckt. Zum anderen nutzen Barista heute ausgefuchsteres Equipment zum Handfiltern, zum Beispiel digitale Küchenwaagen zum Ermitteln von Brew Ratios, erstklassige Kaffeemühlen sowie spezielle Wasserkessel zum Aufgießen.
Was ist eigentlich ein Wasserkessel?
Ein “Wasserkessel” kann natürlich vieles bedeuten. Immerhin ist ein schnöder Wasserkocher ja auch nichts anderes als ein Wasserkessel mit Stromanschluss. Als moderne Freunde vom Filterkaffee brauchen wir allerdings eine bestimmte Art Wasserkessel: Und zwar einen mit schön geschwungenem Hals, der an einen stolzen Schwan erinnert. Aus diesem Grund sind Wasserkessel zur Zubereitung von Filterkaffee auch als “Schwanenhalskanne” oder “Gooseneck-Kettle” bekannt. Manche bezeichnen sie auch als Pour Over Kanne, und bestimmt sind noch weitere Namen geläufig. Allerdings ist nun die Frage: Warum muss es so ein Wasserkessel sein? Und weshalb reicht nicht einfach irgendeine Kanne?
1. Der Wasserkessel präzisiert den Aufguss beim Handfiltern
Viele Leute lieben das Handfiltern, weil es gerade wieder besonders hip ist. Doch es gibt noch einen weitaus besseren Grund dafür: Wir können auf diese Weise den Kaffee auf höchstem Niveau und besonders präzise brühen. Als Brewer wollt ihr nämlich die Kontrolle über die einzelnen Schritte beim Kaffeebrühen haben – weil die Ausführung letztlich darüber entscheidet, wie es schmeckt.
Die Art des Wasseraufgußes beeinflusst den Kaffeegeschmack
Vielleicht habt ihr es schon in meinem Tutorial zum Handfiltern gelesen: Ein optimales Brühergebnis erzielt man nicht, wenn das gesamte heiße Wasser planlos in den Kaffeefilter gekippt wird. Denn sobald das Wasser mit dem gemahlenen Kaffee in Kontakt kommt, werden daraus Aromen und Geschmäcker freigesetzt. Sie entfalten sich allerdings nur dann vollständig und rund, indem ihr gleichmäßig frisches Wasser auf das Kaffeemehl gebt. Dazu gießt ihr mit dem Wasserkessel erst eine kleine Menge Wasser auf den gemahlenen Kaffee für die etwa 30-sekündige Blooming-Phase. So blüht der Kaffee auf, setzt CO2-Gase frei und wird auf die Extraktion vorbereitet. Danach füllt ihr das Wasser in schwenkenden Bewegungen mit dem Wasserkessel schrittweise im Filter auf.
Nur ein spezieller Wasserkessel erlaubt einen präzisen Aufguss
Ein guter Wasserkessel hat verschiedene Facetten, die den Aufguss exakt machen. Zum einen muss es mit einem Wasserkessel möglich sein, in einem gleichmäßigen Wasserfluss zu gießen. Denn wenn ihr mal mehr, mal weniger Wasser oder mal schneller, mal langsamer Wasser über den Kaffee im Handfilter gießt, wird die Extraktion der Aromen ungleichmäßig ausfallen.
Zum anderen muss man mit einem Wasserkessel präzise zielen können. Eine gute, gleichmäßige Extraktion der Kaffeearomen erfordert, dass ihr überall im Kaffeefilter gleichmäßig Wasser hingießt. Dafür muss man während des gesamten Brühprozesses kontrolliert nach den mehr oder weniger extrahierten Stellen im Kaffeesatz schauen und ggf. nachgießen. Dort wo schon viel Wasser hingeflossen ist, sieht das Kaffeepulver im Filter heller aus.
Die bekannteste Methode für einen gleichmäßigen Wasseraufguss in den Kaffeefilter sind kreisende Bewegungen von innen nach außen, während ihr auf die Farbänderung des Kaffeepulvers achtet.
Diese beiden Facetten eines exakten Aufgusses hängen tatsächlich von den Eigenschaften des Wasserkessels ab: Er darf nicht empfindlich auf kleine Bewegungen oder kleine Änderungen der Neigung reagieren.
“Wave Dripping” by Dennis Tang (CC BY-SA 2.0)
Aufbau und Handhabbarkeit vom Wasserkessel sind entscheidend
Bestimmt habt ihr schon einmal probiert, einen dünnen und gleichmäßigen Strahl aus dem üblichen Wasserkocher zu gießen. Das geht schlichtweg nicht! Genauso wenig wie präzises Zielen oder exakte Bewegungen. Stattdessen kommt aus dem Wasserkocher nur ein Schwall, der überall hinläuft, nur nicht dahin wo man ihn braucht. Und nun kommt der Wasserkessel ins Spiel! Denn nur ein Wasserkessel mit Schwanenhals macht den exakten Wasseraufguss möglich.
Der sogenannte Schwanenhals ist ein besonders dünner und geschwungener Ausguss, der das Gießen präzise macht. Je nach Durchmesser des Ausgusses – und wie sehr ihr ihn neigt – wird entsprechend mehr oder weniger Wasser im Wasserkessel zurückgehalten, was die Flussrate schön gleichmäßig macht. Zudem gibt es Wasserkessel, die eine spitz zulaufende Ausgussspitze haben. Am besten sieht man das bei dem Fellow Stagg Kettle oder beim Kalita Wave Pot. Mit solchen Spitzen lässt sich das Wasser besonders gut zielen.
2. Der Wasserkessel hält die perfekte Brühtemperatur
Es ist klar, dass Kaffee auf 95°C heißes Wasser anders reagiert als z.B. auf 80°C heißes Wasser. Neben dem Aufbau vom Wasserkessel ist deshalb auch wichtig, dass er während dem Aufbrühen eine bestimmte Temperatur – oder wenigstens einen bestimmten Temperaturrahmen – hält.
Ein Experiment: Gute Kessel speichern länger die Wärme
Je nach Brühverfahrenkann die Brühzeit und damit das Wasseraufgießen stark variieren: Bei einer Tasse handgefilterten Kaffee mit der Hario V60 kann es 2 bis 3 Minuten dauern, mit der Chemex – hier eine Anleitung – für sechs Portionen hingegen durchaus 5 bis 6 Minuten. Es wäre also nicht schön, wenn ihr anfänglich bei 95°C gebloomt habt und das Wasser beim letzten Guss nur noch 85°C warm ist. Doch genau das passiert mit einem Wasserkessel, der die Temperatur schlecht isoliert.
Deshalb habe ich mit den gängigsten Wasserkesseln (Hario Buono, Kalita Wave Pot und Fellow Stagg Kettle) ein Experiment gestartet – um zu sehen, wie gut sie die Wassertemperaturen wirklich halten. Ich habe alle drei mit kochend heißem, blubbernden Wasser gefüllt. Erst im kaltem Zustand und dann, nachdem ich sie mit heißem Wasser vorgewärmt hatte. Dann habe ich für jeweils zehn Minuten die Temperatur gemessen und im Minutentakt die Ist-Temperatur protokolliert. Mehr nicht. Die Ergebnisse sahen wie folgt aus.
Vorheizen beeinflusst die Ausgangstemperatur im Wasserkessel
Der internationale Spezialitätenkaffee Verband (SCA) empfiehlt zum Brühen von Handfilterkaffee einen Temperaturrahmen von 90-96°C. Ich würde definitiv nie mit Wasser über 96°C arbeiten! Die hohe Temperatur bedeutet mehr Energie, die andere Aromen – in diesem Fall primär unangenehmere Bitterstoffe – extrahiert. Im Volksmund spricht man dann des Geschmacks wegen irrtümlich von “verbranntem” Kaffee. Natürlich kann Kaffee beim zu heißen Wasseraufguß nicht wirklich verbrennen; immerhin halten die Bohnen beim Rösten einem 200°C heißen Ofen stand. Das aber nur als Notiz am Rande.
Je nachdem ob ihr den Wasserkessel vorheizt, wird die Ausgangstemperatur anders ausfallen. Füllt ihr einen kalten Wasserkessel mit kochendem, gerade noch blubberndem Wasser, wird die Ausgangstemperatur erfahrungsgemäß bei etwa 93-94°C liegen. Habt ihr den Wasserkessel hingegen vorher mit heißem Wasser aufgeheizt und schüttet erst dann das kochende Wasser hinein, erreicht ihr eine Ausgangstemperatur von etwa 96-97°C.
Ich stelle meinen Wasserkessel übrigens nicht direkt auf den Herd, wie man einer das vielleicht tut. Denn dabei kann die Beschichtung am Boden ggf. leiden – außerdem ist ein Wasserkocher schneller und effizienter. Bei Wasserkesseln mit eingebautem Kocher muss das Wasser nach dem Aufkochen natürlich erst einmal kurz abkühlen. Mit diesen Geräten habe ich leider keine Erfahrung. Experimentiert am besten selbst, wie lange man sie stehen lassen muss, bis die gewünschte Ausgangstemperatur erreicht wird. Bei einem Wasserkessel mit eingebautem Thermostat ist es um einiges einfacher, eine bestimmte Temperatur zu erreichen und zu halten.
3. Hario, Kalita & Co: Beliebte Wasserkessel im Test
Du fragst dich nun vielleicht, welcher Wasserkessel allen Anforderungen gerecht wird. Dafür stelle ich dir die beliebtesten Modelle auf dem Markt vor und gebe meine persönliche Bewertung dazu ab.
Der Hario Buono Wasserkessel
Der Hario Buono ist der Klassiker unter den Wasserkesseln. Bestimmt habt ihr ihn schon des öfteren in Cafés gesehen. Ein Vorteil vom Hario Buono Wasserkessel ist, dass er bei allen Baristas der Welt nach wie vor sehr beliebt ist und dementsprechend über ein gedankliches Qualitätssiegel verfügt. Außerdem ist er von allen Markenprodukten mit etwa 40€ der günstigste Wasserkessel. Mir persönlich ist der Buono allerdings zu unpräzise – im Gegensatz zu den Alternativen. Verglichen mit anderen Wasserkesseln wird die Temperatur außerdem schlechter gehalten.
Der Kalita Wave Pot
Der Kalita Wave Pot ist quasi das Pendant zum Hario Buono Wasserkessel und stammt von der ebenfalls japanischen Marke Kalita. Wirklich toll an ihm ist zunächst einmal die Optik. Das polierte Edelstahl-Finish mit dem Holzgriff macht den Wasserkessel zu einem Schmuckstück in der Kaffeeecke, und das bei einem zu verschmerzenden Preis von rund 60€. Der Kalita Wave Pot hat zwar einen relativ dicken Schwanenhals, aber das spitz zulaufende Ende macht ihn dennoch überraschend präzise. Negativ ist an ihm, so wie beim Hario Buono, die relativ dünne Edelstahlwand – bei der die Wassertemperatur relativ schnell sinkt.
Der Fellow Stagg Kettle
Der Fellow Stagg Kettle aus den USA ist tatsächlich ein Neuling unter den Wasserkesseln und fällt mit Design-Minimalismus besonders ins Auge. Er ist nicht nur hübsch, sondern quasi eine Komposition aus allen Anforderungen, die optimierungswütige und perfektionistische Baristas so haben können. In meinem Test hält dieser Wasserkessel die Wassertemperatur am besten und überzeugt mit der höchsten Präzision beim Aufguss. Außerdem kommt der Fellow Stagg Kettle mit einem sehr dünnen, gewinkelten (!) Schwanenhals daher und hat ein spitz zulaufendes Ende. Im ergonomisch ausgefallenen Griff ist sogar ein Gegengewicht eingebaut, was den Neigungswinkel stabilisiert.
Das alles wird im Preis ganz deutlich: Mit ca. 130€ ist der Fellow Stagg Kettle einer der teuersten Wasserkessel – und das ohne eingebautem Kocher oder Thermostat. Leider ist das eingebaute analoge Thermometer auf dem Deckel recht ungenau. Bei dem hohen Preis hätte Fellow dem Stagg Kettle definitiv ein digitales Thermometer verpassen können.
Auf den ersten Blick sieht das Gerät von Bonavita aus den USA unscheinbar aus. Eben ein gebürsteter Edelstahl-Wasserkessel mit “normal” geschwungenem Schwanenhals. Dabei handelt es sich allerdings um eine Kombination aus Wasserkocher und Wasserkessel, die insbesondere mit eingebautem Thermostat punktet! Damit ist es einfach, kaltes Wasser auf die Wunschtemperatur zu bringen und jene per Voreinstellung zu speichern. Während des gesamten Brühvorgangs gibt es keinen Grund zur Sorge, dass die Temperatur sinkt. Laut Hersteller hält sie eine ganze Stunde lang! Für 100€ ist der Bonavita Kessel ein guter Deal, wenn man mit der Kontrolle und Präzision vergleichbar zu Hario Buono auskommt.
Fazit: Dein Geschmack entscheidet
Letztendlich ist ein Wasserkessel mit Schwanenhals auch “nur“ ein Tool, um euren Filterkaffee zu optimieren. Er ist natürlich kein Muss so wie ein Handfilter, ohne den ein Handfilterkaffee einfach nicht zu brühen wäre. Aber ihr werdet selber merken, dass der Brühvorgang mit einem ordentlichen Wasserkessel einen großen Unterschied macht.
Informiert euch und wägt persönlich das Preis-Leistungsverhältnis ab! Ich selbst habe für die Entscheidung zwischen dem Kalita Wave Pot und Fellow Stagg Kettle auch fast ein halbes Jahr gebraucht – bis letzterer gewonnen hat. Nicht zu vergessen: Am Ende wird sicherlich auch die Optik eine Rolle dabei spielen, für welchen Wasserkessel ihr euch entscheidet.
Stay caffeinated. Kaffee tut euch gut!