Der Job als Barista sieht für Außenstehende wahrscheinlich sehr attraktiv aus: Er oder sie steht den ganzen Tag hinter einer hippen Theke, ist immer vom herrlichem Duft frisch gemahlener Bohnen umgeben und bereitet superleckere Kaffeespezialitäten zu. Er kennt Kaffeemaschinen und Handfilter aus dem Effeff, und kann sich beim Verzieren der Kaffeetassen mit seiner Latte Art sogar noch künstlerisch austoben. Alle lieben, was er tut, und zwischendurch gibt’s immer wieder einen netten Plausch mit den Kunden.
Doch ist das in der Realität wirklich alles so rosig? Ich bin Singi, Kaffeenerd und Kaffee Youtuber, und arbeite seit Jahren als professioneller Barista. In diesem Artikel kläre ich wesentliche Fragen zu meinem Job: Zum Beispiel, wie man ihn lernen kann, welche Aufgaben dazu gehören, und für wen er geeignet ist. Ich nehme euch mit in meinen Arbeitsalltag ins Café und werde sehr ehrlich berichten – seid also gespannt, wie mein Leben als Barista und das vieler Kollegen wirklich aussieht!
1. Der Barista: Ein Barkeeper für Kaffeefreunde?
Das Wort Barista (Plural: Baristi) hat seinen Ursprung im Italienischen und meint jemanden, der hinter einer Theke (Bar) steht, Getränke ausschenkt und diese teilweise auch serviert. Das kann in Italien jede Art von Theke sein, denn ein Barista ist dort ein Barkeeper. Heute verstehen wir unter einem „Barista“ (zumindest in der Welt jenseits von Italien) jemanden, der professionell Kaffeegetränke zubereitet. Wahrscheinlich kam es zu dieser begrifflichen Umdeutung, als sich nach dem klassischen Kaffeehaus die ersten Coffeeshops in Europa etablierten – und man den Herren und Damen hinter der Theke einen Jobtitel geben wollte, der an das gute alte Italien erinnerte. Auf dem folgenden Bild bin übrigens ich zu sehen, wie ich Kaffee Cocktails zubereite, was auch schon wieder an einen Barkeeper erinnert 😉

Der Jobtitel als Barista selbst ist übrigens nicht geschützt und man kann dafür – abgesehen von diversen Barista-Kursen – keine „Ausbildung“ im klassischen Sinne genießen. Trotzdem gibt es viele Wege, um sich auf die große und komplexe Kaffeewelt vorzubereiten und darin beruflich einzusteigen. Ich berichte nun von meinem persönlichen Weg. Er ist allerdings nur ein Beispiel von vielen, wie es funktionieren kann.
Wie ich Barista wurde und mein Heimatcafé fand
Ich selbst fing vor etwa vier Jahren als Barista in einer Espressobar in einer Kantine an, und dort lernte ich zum ersten Mal die „Kaffeezapferei“ als Handwerk. In meiner Bewerbung machte ich einfach meine Liebe zum Kaffee deutlich und wurde prompt angestellt! Damals wollte ich so eigentlich nur meine Latte Art Skills perfektionieren, und wusste noch gar nicht, welch einzigartiges und sensorisches Wunderland Kaffee sein kann.
Ein paar Jahre später war ich im Rahmen meines Studiums für ein Praktikum in den USA. Dort war die „Third Wave Kultur“ schon angekommen und die Menschen gingen mit Kaffee ganz anders um als in Deutschland. Ich entdeckte Filterkaffee & Co. quasi völlig neu! Beispielsweise war der Espresso hier nicht klassisch italienisch, denn man sprach von Aprikosen- und Hibiskusnoten! Ich war Feuer und Flamme und unterhielt mich täglich mit dem Inhaber meines Lieblingscafés im Ort.

Nach den umwerfenden kulinarischen Erlebnissen kehrte ich zurück an meine Studienort Karlsruhe, wo damals gerade das Café Perlbohne gegründet wurde. Die Inhaber versuchten genau jene Kaffeephilosophie zu promoten, die ich in den USA lieben und leben gelernt hatte. Seitdem bin ich quasi als Barista mit der Perlbohne zusammengewachsen und habe dort nicht nur neue Freunde zum Fachsimpeln gefunden, sondern auch eine zweite Familie gewonnen.
Wesentliche Fragen als Barista: Weiterentwicklung und Geld
Mein Café hat mich im Laufe der vergangenen zweieinhalb Jahre als Barista mit Selbstbewusstsein regelrecht vollgepumpt – etwas, das ich vorher nicht kannte. Ich habe gelernt, dass ich etwas weiß und einiges kann. Letztlich führte das zur meiner Teilnahme an den deutschen Baristameisterschaften, bei denen ich Dritter wurde. Ein toller Erfolg, der mich natürlich sehr freute und meine Kaffeeliebe bestätigte! Trotzdem soll mein persönlicher Weg jetzt kein Maßstab sein, und natürlich wird nicht von jedem Barista gefordert, sich so weit zu entwickeln, dass man bei den Meisterschaften mitmachen will.

Doch eine gewisse Leidenschaft auf Meisterniveau sollte man für das Handwerk schon mitbringen, denn rein finanziell betrachtet ist der Job als Barista definitiv kein Eye-Catcher. Er gehört nun einmal zum Gastronomie-Gewerbe! Genaue Angaben darüber, wie viel ein Standard-Barista verdient, kann und will ich nicht machen. Denn das Spektrum, was ihr verlangen könnt und dürft, ist breit: Manche bekommen nur den Mindestlohn als Minijobber, andere stehen auf den Monat hochgerechnet in Teilzeit oder Vollzeit ein bisschen besser da, und ein paar wenige können als Barista mit Meistertiteln vielleicht sogar hochpreisige Rechnungen schreiben und das Geschäftskonto füllen. Alles ist möglich.
2. Das Arbeitsgebiet als Barista: Ist Kaffee wirklich alles?
Die kurze Antwort ist: Nein. Nehmen wir kein Blatt vor den Mund. Denn wie oben beschrieben ist „Barista“ nur eine fancy Bezeichnung für jemanden, der de facto ein Barkeeper bzw. Kellner ist, und sich ein bisschen mehr mit Kaffee auskennt. Das heißt also, dass die Tätigkeit als Barista nicht nur aus Latte Art und Handfiltern besteht. Vielmehr deckt sie das komplette Management eines Cafés und die damit verbundenen Aufgaben ab: Zum Beispiel sich um das Wohlbefinden der Gäste kümmern, Preisschilder sortieren bis hin zum Kloputzen. Ja, wirklich!
Ein bekannter „Godfather“ der deutschen Kaffeeszene meinte zu mir, ein guter Barista sei Chefkoch, Sommelier und Kellner zugleich. Professionell und mit Liebe, wie ein Chefkoch, bereitet er Kaffeegetränke zu und bildet sich ständig weiter. Wie ein Sommelier verkostet und evaluiert er diverse Kaffees, beim speziellen Cupping und im Arbeitsalltag. Und wie ein „simpler“ Kellner muss er seine Kunden beraten, Bestellungen aufnehmen und den Gästebereich sauber und ordentlich halten.

Daher reicht es zum Barista werden eben nicht aus, wenn ihr nur gerne ein bisschen Kaffee kocht. Ihr müsst eine volle Ladung Leidenschaft, Empathie und Sympathie für diesen Beruf mitbringen, um neben den spaßigen und schönen Seiten eben auch die langweiligen und teils nervigen Aufgaben erledigen zu können. Das theoretische Kaffeewissen eignet ihr euch meiner Erfahrung nach am besten durch „Learning per Doing“ an – nach und nach hinter der Theke.
3. Der Arbeitsalltag als Barista: Friede, Freude, Eierkuchen?
Nach all der Vorrede interessiert euch nun bestimmt, wie das Arbeitsleben als Barista so aussieht. Es gibt gelegentlich die ein oder andere glamouröse Veranstaltung wie Hochzeiten, große Firmenevents, Messen und Meisterschaften. Aber das ist eher selten. Daher konzentriere ich mich im Folgenden auf einen typischen Arbeitstag im Café, wie er für mich und viele andere Baristi ungefähr abläuft.
Morgens: Gute Vorbereitung ist für den Barista alles
In den meisten guten Cafés arbeitet man mit Handfiltern, für die wenig vorzubereiten ist, und mit einer Siebträgermaschine. Sie braucht zum Warmwerden Pi-Mal-Daumen eine halbe Stunde, und somit besteht die erste Handlung des Tages darin, das gute Stück anzuschalten. Währenddessen muss der Barista vor der Ladenöffnung alles überprüfen, damit eintretende Kunden sich sofort wohl fühlen können. Stellt euch vor, ihr seid in einem Café zu Gast: Welche Erwartungen habt ihr? Bestimmt wollt ihr gleich einen Kaffee bestellen und es euch damit (und vielleicht dazu noch einem Snack) bequem machen. Genau aus dieser Perspektive sieht der Barista morgens seinen Arbeitsplatz.

Er oder sie prüft also, ob alles für die Kundschaft bereitsteht: Sind die Kaffeemühlen voll mit Bohnen? Ist die Snacktheke mit leckeren Keksen, Kuchen & Co. gefüllt? Und der Kühlschrank mit kühlen Getränken sortiert, für alle die (ja, das gibt’s) keinen frischen Kaffee wollen? Ist der Boden gefegt und sind alle Tische schön sauber? Und steht und sitzt alles an der richten Stelle? Viele Cafés haben auch noch kleine Shops integriert und verkaufen Dinge wie frisch geröstete Bohnen und Kaffeezubehör wie z.B. die Chemex, damit die Kundschaft auch zu Hause gut versorgt ist. Solche Ladenflächen müssen morgens vor der Eröffnung natürlich ebenfalls kontrolliert werden, ob alles an Ort und Stelle ist.
Die allerwichtigste Frage zum Schluss, denn immerhin sind wir in einem Café: Läuft der Espresso richtig durch? Sprich ist der Kaffee, den ihr verkaufen wollt, auch wirklich lecker? Über Nacht kann sich z.B. das Mahlverhalten der Maschine wegen Luftfeuchtigkeit, Fehlern im System und Tausend anderen Faktoren komplett verstellen. Es ist also ein absolutes Muss, dass der Barista morgens vor Geschäftsbeginn überprüft, ob die Espressomaschine ordentlich eingestellt ist. Diese Aufgabe kann unter Umständen viel Zeit in Anspruch nehmen.

Der Geschäftstag als Barista im Café: Mehr als Kaffeemachen
Alles gemütlich eingerichtet? Dann kann der Tag richtig losgehen. Jetzt könnt ihr euer Kaffee-Können unter Beweis stellen, eure Kunden mit Latte Art beeindrucken und euch austoben! Wobei, „austoben“ ist vielleicht ein wenig übertrieben – immerhin ist euer Café kein Spielplatz. Selbst wenn man diesen Job ausführt, weil er gleichzeitig Hobby und Passion ist, darf man nicht vergessen, hinter der Theke offizieller Vertreter einer Firma zu sein und professionell auftreten zu müssen.
Kaffeezubereitung mit System
Es gibt viele Sachen, die ein Barista im Laufe des Tages bei der Kaffeezubereitung braucht. Daher müsst ihr eure Zeit und Tools effizient nutzen! Es macht nämlich wenig Spaß und sieht ziemlich uncool aus, wenn ihr erstmal fünf Minuten eure Sachen zusammenschustern müsst, bevor ihr Kaffee machen und servieren könnt. Daher entwickelt jeder im Laufe der Zeit sein persönliches System für die Arbeit.

Für ein Arbeitssystem ist es sinnvoll zu betrachten, welche Kaffeegetränke am beliebtesten sind. Bei uns im Café Perlbohne sind, wie vermutlich überall auf der Welt, die Kaffeespezialitäten mit Milch die Bestseller. Also Cappuccino, Flat White Milchkaffee und so weiter. Deshalb haben wir die Milchpackungen für den Milchschaum immer griffbereit auf der Theke stehen. Obendrein nutzen wir Milchkännchen in verschiedenen Farben, um eine Kreuzkontaminierung zwischen normaler, laktosefreier und veganer Milch zu vermeiden.
Alle Tools, die wir den ganzen Tag über nutzen, müssen leicht zugänglich sein. Dazu gehören auch Tamper, Zangen für Kuchen und Kekse, oder der Wasserkocher. Den stelle ich reflexartig an, sobald mehr als fünf Leute in der Schlange stehen, um auf Bestellung Handfilterkaffee zubereiten zu können. Das geht noch schneller, wenn man die Kaffeebohnen dafür bereits vorportioniert. Damit spart ihr eure Zeit und natürlich auch die wertvolle Zeit der Kunden.

Es gibt aber auch Dinge, die selbst mit System nicht einfach zu überwältigen sind. Wie beschrieben fängt der Tag damit an, die Mühlen einzustellen. Das reicht aber nicht. Eine Kaffeemühle reagiert leider empfindlich auf Faktoren wie Hitze und Luftfeuchtigkeit. Entsprechend kann sich die Mühleneinstellung über den Tag komplett verziehen. Ihr müsst also immer im Blick haben, wie sich der Espresso verhält, und entsprechend iterativ die Mühle den Gegebenheiten anpassen.
Ein Barista putzt mehr, als du vielleicht denkst
Kaffeemachen ist natürlich längst nicht alles. An einem normalen Geschäftstag gibt’s viele weitere Sachen zu erledigen und das größte Ziel des Baristas muss sein, dass es den Kunden gut geht. Dabei spielen Hygiene und Sauberkeit eine große Rolle. Ich schaue also immer nach Schmutz und Unordnung und beseitige sie, insbesondere rundum die Espressomaschine und überall da, wo Wasser und Kaffee(pulver) zusammentreffen. Zum einen vermeidet man so die Verbreitung von Bakterien und zum anderen macht es einen anständigen und professionellen Eindruck. Genügend Cafés wirken nur durch mangelnde Ordnung super unappetitlich! Mit so etwas könnt ihr mich jagen.

Neben der Kaffeemaschine gibt es weitere, teils weniger offensichtliche Schmutzmagneten: Zum Beispiel Deckenleuchten, auf denen sich Staub sammelt, oder Kühlschränke, in denen Milch lagert, und die regelmäßig desinfiziert werden sollen. Auch beim Putzen kann man sich als Barista eben ordentlich austoben 😉
Ein Beispiel für sonstige Aufgaben, das ich gerne nenne, ist von einer berühmten und erfolgreichen Barista aus Berlin: Eines Nachmittags musste sie sich ins Büro setzen und kistenweise Etiketten auf Coldbrew-Flaschen kleben. Klingt nicht so spaßig, oder? Aber so etwas gehört nun mal zum Barista-Job dazu. Meine All-Time-Lieblingsaufgabe (nicht) ist Getränkekisten schleppen. Unser Getränkelager ist im Keller und besonders im Sommer müssen wir mehrmals am Tag kistenweise Limoflaschen hochholen… Nicht so glamourös!
Ladenschluss: Grundreinigung und Kassensturz
Nach Ladenschluss sollte natürlich alles gründlich geputzt werden. Vor Geschäftsbeginn war es ja mehr ein „kurzes Drüberschauen“, damit alles passt. Nun geht’s mit Putzmittel, Eimer und Lappen so richtig zur Sache. Es wäre natürlich toll, wenn man als Barista nur die schönen Sachen putzen kann. But life ain’t easy, son! Neben dem Polieren der Espressomaschine wartet (manchmal leider wortwörtlich) auch ein vollgesch*****es Klo auf euch. Ihr solltet euch ebenfalls nicht davor scheuen, beim Müllwegbringen vielleicht versehentlich in Bioabfall zu langen… Das alles muss abends gemacht werden, und immer kann ein kleines Ungeschick passieren. Wenn ihr also ein wenig etepetete seid, überlegt euch lieber genau, ob ihr wirklich den Job als Barista machen wollt.
Am Ende des Geschäftstages bleibt natürlich noch eine wichtige Aufgabe, falls euer Café es erfordert: Den Kassenbericht schreiben. Spätestens dabei wird euch auffallen, dass man als Barista trotz diverser und harter Aufgaben leider nicht wirklich viel Trinkgeld bekommt. Seid euch dessen bewusst: Rein geldmäßig ist es nun mal kein attraktiver Job!

Aber glaubt mir, irgendwann beherrscht ihr als Barista die grundlegenden Aufgaben aus dem FF. Und es gibt auch wirklich pure Freude: Die Kunden mit Latte Art begeistern, sie beraten, mit ihnen quatschen und sogar Freundschaften schließen!
4. Der Barista und die Kundschaft: Menscheln tut’s nicht immer
In den Unterlagen meiner Berufsunfähigkeits-Versicherung las ich Folgendes: „Gerade Menschen in den vermeintlich ungefährlichen Berufen mit Bürotätigkeit unterschätzen das Risiko, berufsunfähig zu werden […]. Die häufigsten Ursachen sind psychische Erkrankungen […].“ Logisch, als Barista muss man dauernd stehen, viel herumlaufen und kann sich unter Umständen (wenn man’s falsch gelernt hat) sogar verletzen. Ein reiner Bürojob ist es also nicht. Doch auch was den mentalen Part angeht, hat es der Beruf mitunter in sich, und Zartbesaitete sollten das wissen.
Viele Klischees: „Und was machen Sie hauptberuflich?!“
Erst vor drei Tagen, als ich diesen Artikel schrieb, wurde es mir wieder wie ein Schlag ins Gesicht bewusst. Als Barista, anders als vielleicht ein Bartender in der hippen Cocktailbar oder ein Sommelier im Fine-Dining-Restaurant, hat man mit Vorurteilen zu kämpfen: Eigentlich nur irgendein Futzi zu sein, der Kaffeegedöns kocht. Natürlich hat nicht jeder Kunde dieses Bild im Kopf, aber ich rede von der allgemeinen Mehrheit. Und das kann einem ordentlich psychischen Druck machen. Unter Baristas erzählt man sich öfters „lustige“ Anekdoten, die sich um diese Stereotypen ranken… Beispiel gefällig?
Ein Kunde bekommt einen superleckeren Flat White serviert, aus äthiopischen Single Origin Kaffeebohnen für den Espresso, mit microfeinem Milchschaum und verziert mit einer schönen Latte Art Tulpe. Und was kommt als Reaktion? „Wow, das haben sie aber echt toll gemacht. Hmm, ist auch lecker! Und was machen Sie hauptberuflich?“
Die Geschichte stammt von einem Kollegen, kommt in der Art aber häufiger vor, als ihr vielleicht denkt. Vor Kurzem ist mir etwas Ähnliches passiert, und nach diesem Kundengespräch war ich wirklich völlig durch. Ihr hättet mich erleben sollen, wie ich danach einfach nur in der Ecke saß und in die Leere starrte…

Selbsternannte Experten und „verrückte“ Geschmacksnoten
Also, was ist mir passiert? Eine Kundin wollte Kaffeebohnen kaufen und betonte dabei mehrmals, ein „Espressojunkie“ zu sein und dutzende Tassen pro Tag aus ihrem Nobelvollautomaten zu trinken. Alles, bloß kein Filterkaffee. Sie beziehe nur die besten Espressobohnen von einer Privatrösterei ihres Vertrauens. Ich spürte, dass sie italienische Espressomischungen bevorzugen würde. Als Barista entwickelt man im Laufe der Zeit ein Gefühl dafür und meistens habe ich recht. Ich empfahl der Dame also aus dem breiten Sortiment von Good Karma Coffee eine dunkle Espressomischung.
Leider fühlte sie sich von meiner oberflächlichen Einschätzung angegriffen und wollte „trotzig“ über die Medium-Röstungen erfahren. Natürlich entschuldigte ich mich daraufhin und riet ihr zu einem sortenreinen Medium Carbonic Macerated Natural aus Honduras. Ein sehr spannender Kaffee mit wundervollen Noten von Bordeauxwein, Marzipan und ein wenig Holunder. Er war der Monatskaffee und ich hatte ihn regelrecht gefeiert. Den konnte die Kundin an der Theke bestellen, probieren und entscheiden, ob er etwas für sie wäre.
Sie mischte drei Schaufeln Zucker in den Espresso. Gefühlt zwei Stunden und drei Packungen Zigaretten später unterstellte sie mir mit einem tendenziell aggressiven Unterton, dass der von mir servierte Espresso wohl ein Witz sei. Unter den Jugendlichen wirke er vielleicht cool, aber es sei nun mal kein Espresso. Generell halte sie nichts von solchen Späßen, dass irgendwelche verrückten Geschmacksnoten und Aromen in den Kaffee „hineingemurkst“ werden.

Die Dame hätte sagen können, dass es ihr nicht schmeckt und dieser Espresso nicht ihre Sache ist. So etwas ist völlig okay. Ihren Tonfall und die Wortwahl empfand ich aber als Angriff auf das Kaffeelabel, das für mich das Beste aus Rohkaffee zaubert, auf mein Café, das den Menschen Specialty Coffee näher bringen will, und auf mich. Den Barista, Kaffeekoch, Sommelier und Experten, der mit jeder Beratung versucht, einen für den Kunden maßgeschneiderten Kaffee in der großen Produktpalette zu finden.
Ja, es gibt auch nette Kontakte!
Alle Arten von Kaffee und Espresso haben ihre eigene Zielgruppe und eine bestimmte Daseinsberechtigung: Italienische Espressi, selbst die Kapseln von Nespresso, und natürlich auch sortenreine, eher heller geröstete Espressi. So wie der, den ich der patzigen Dame serviert hatte. Leider müsst ihr als Barista solchen Dissonanzen standhalten können – und das ist ultimativ der härteste Teil an diesem Job.
Aber natürlich begegnet ihr auch vielen netten Menschen, mit denen ihr an der Theke sogar Freundschaften schließen könnt. Im Optimalfall sind es Kunden, die bezüglich Kaffee ähnlich ticken wie ihr selbst. Dann könnt ihr zusammen fachsimpeln und euch gegenseitig von spannenden Cafébesuchen erzählen. Das habe ich schon mit vielen Leuten getan und einige haben in ihren Heimatstädten selbst einen Job als Barista angefangen. Aber am meisten freut man sich über die einfachen Stammgäste, die stillschweigend und kommentarlos durch ihre regelmäßigen Besuche ihre Zufriedenheit und Loyalität mit uns teilen. Von ihnen fühlt sich der Barista am meisten bestätigt!

Ich hoffe, ich konnte euch mit diesem Post einen ehrlichen, transparenten Einblick in den Alltag eines Baristas verschaffen. Ja, es ist viel Arbeit und wie bei allem im Leben nicht immer ein Zuckerschlecken. Der Job macht nur dann Spaß, wenn die Leidenschaft und die Liebe für die Materie Kaffee an oberster Stelle stehen – und nicht das Geld!
Also Leute trinkt viel Kaffee, Kaffee tut euch gut.
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Über den Autor: Singi ist leidenschaftlicher Barista und offizieller Kaffeenerd im Café Perlbohne in Karlsruhe. Bei den deutschen Baristameisterschaften 2018 hat er den dritten Platz belegt. In seinem YouTube Kanal könnt ihr seine Kaffee-Tutorials und seinen Vlog rundum Specialty Coffee verfolgen. Abonniert ihn doch gleich!
Über die Editorin: Heidi liebt Kaffee, vor allem in Kombination mit einem gesunden Frühstück. Wenn sie gerade keine Beiträge auf Happy Coffee schreibt, berichtet die Weltenbummlerin auf ihrem Blog meerdavon.com über ihre Reisen.
Fotos von Barista Singi: Sinan / coffeesomething.de & Café Perlbohne.